Gesetzgebungsverfahren | |||
Gesetzgebungsverfahren | |||
Richtlinie nicht umgesetzt: | |||
Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters | |||
von RA Rainer Polzin, Berlin | |||
Die Richtlinie 2000/78/EG (RL, Sartorius II Nr. 29) legt einen allgemeinen | Umsetzungs- | ||
Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung | frist am 2.12.03 | ||
und Beruf fest und verbietet neben anderem die Diskriminierung wegen | abgelaufen | ||
des Lebensalters. Die Umsetzungsfrist lief am 2.12.03 ab, ohne dass die | |||
Bundesrepublik ihrer Pflicht zur Umsetzung nachgekommen ist. Ein 2001 | |||
vorgelegter Gesetzesentwurf wurde letztlich nicht realisiert (dazu Busch, | |||
BB 02, 470). Wenige Tage vor Ablauf der Umsetzungsfrist hat die Bundes- | |||
republik gem. Art. 18 RL eine Zusatzfrist von drei Jahren für die Umset- | |||
zung in Anspruch genommen. Für die Arbeitsverhältnisse bleibt daher | |||
zunächst alles beim Alten: EG-Richtlinien gelten anders als EG-Verord- | |||
nungen erst nach der Umsetzung in ein nationales Gesetz. Das deutsche | |||
Recht kennt bisher kein allgemeines Diskriminierungsverbot wegen des | |||
Lebensalters. Der Beitrag zeigt anhand des Bundesangestelltentarif- | |||
vertrags (BAT) auf, auf welche Änderungen sich die Tarifvertragspraxis | |||
einstellen muss. | |||
Zielsetzung der Richtlinie | |||
Bei der Richtlinie steht nicht der Schutz älterer Arbeitnehmer im Vorder- | |||
grund. Vielmehr wird ganz allgemein die Benachteiligung wegen des | |||
Lebensalters verboten. | |||
Unmittelbare Diskriminierung durch unterschiedliche Gehaltshöhen | |||
Gem. Art. 2 Abs. 2 Lit. a. RL liegt eine unmittelbare Diskriminierung u.a. | Unterschiedliche | ||
vor, wenn ein ArbN wegen des Lebensalters eine weniger günstige Be- | Behandlung wegen | ||
handlung erfährt als ein anderer in einer vergleichbaren Situation. | des Lebensalters | ||
Beispiel | |||
Die Angestellten im öffentlichen Dienst D und V, 33 bzw. 40 Jahre alt, | |||
verrichten identische Tätigkeiten und haben die gleiche berufliche Qua- | |||
lifikation. D erhält nach § 27 BAT ein geringeres Grundgehalt als V. | |||
Eine unmittelbare Diskriminierung ist hier gegeben, da die Ungleich- | |||
behandlung in § 27 BAT nur am Alter festgemacht wird. | |||
Praxishinweis: Nach Art. 6 RL kann die Bundesrepublik vorsehen, dass | Gesetzgeber kann | ||
Ungleichbehandlungen wegen des Alters gerechtfertigt sind. Die RL setzt | ungleiche Behand- | ||
dabei dem nationalen Gesetzgeber aber Grenzen für mögliche Recht- | lung rechtfertigen | ||
fertigungsgründe. Nach der RL können diese vor allem aus den Bereichen | |||
Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung stammen. | |||
Nimmt man diese hohen Ziele als Maßstab, wird es dem Gesetzgeber | |||
unmöglich sein, einen Zweck festzulegen, welcher die derzeitige Fas- | |||
sung des § 27 BAT rechtfertigen könnte. |
Arbeitsrecht aktiv 2 | 2004 | 30 |
Gesetzgebungsverfahren | |||
Unmittelbare Diskriminierung durch Altersgrenzen: Unkündbarkeit | |||
Bestimmte im BAT vorgesehene Altersgrenzen können zu einer Diskri- | |||
minierung des ArbN führen: | |||
Beispiel | |||
D (33) ist verheiratet, alleinverdienend, Vater von drei Kindern im Alter | |||
von 2, 4 und 6 Jahren und wie V (40) seit 15 Jahren im öffentlichen | |||
Dienst des Landes Niedersachsen beschäftigt. V ist ledig und kinderlos. | |||
Einem von beiden muss aus betriebsbedingten Gründen wegen einer | |||
Rationalisierungsmaßnahme gekündigt werden. | |||
Unkündbarkeit | |||
Die Wahl müsste auf D fallen, denn in den alten Bundesländern sind | |||
gem. § 53 Abs. 3 BAT ArbN, die 15 Jahre im öffentlichen Dienst beschäf- | nach 15 Jahren im | ||
tigt sind und das vierzigste Lebensjahr vollendet haben, ordentlich nicht | Öffentlichen Dienst | ||
kündbar. V würde zum Nachteil von D, der sozial wesentlich schutz- | |||
bedürftiger ist, nicht in die Sozialauswahl miteinbezogen. Hierin liegt | |||
eine unmittelbare Benachteiligung, da entscheidend für die Ungleich- | |||
behandlung die Erreichung des 40. Lebensjahres ist. | |||
Unmittelbare Diskriminierung durch Altersgrenzen: Abfindungshöhe | |||
Eine weitere Ungleichbehandlung erfährt D in dem Beispiel bei der Be- | Abfindungshöhe | ||
rechnung der Abfindung gemäß § 7 des TV Rationalisierungsschutz West: | vom Alter abhängig | ||
Er hat Anspruch auf sieben Bruttomonatslöhne, V hingegen – würde er | |||
wegen der Rationalisierung, aber im Hinblick auf seinen absoluten Kündi- | |||
gungsschutz freiwillig seinen Arbeitsplatz aufgeben – könnte allein wegen | |||
seines höheren Lebensalters acht Monatslöhne Abfindung beanspruchen. | |||
Praxishinweis: Nach Art. 6 Abs. 1 S. 2 Lit. a RL können die nationalen | Schutz älterer | ||
Gesetzgeber aber besondere Entlassungsbedingungen von älteren ArbN | Arbeitnehmer | ||
vorsehen, um diese zu schützen. Allerdings dürfte die derzeitige Alters- | bleibt möglich | ||
grenze für die Unkündbarkeit von 40 Jahren im BAT in jedem Fall zu | |||
niedrig sein – auch wenn die RL keine feste Vorgabe macht, wann ein | |||
ArbN als „älter“ anzusehen ist. Mit 40 Jahren sind die Chancen auf dem | |||
Arbeitsmarkt noch nicht so vermindert, dass ein besonderer Schutz er- | |||
forderlich ist. | |||
Aus diesem Grunde werden in Zukunft auch Differenzierungen bei der | |||
Abfindungshöhe auf Grund des Lebensalters nicht mehr zulässig sein, | |||
sofern die Differenzierung nicht den Schutz älterer ArbN zum Zweck hat. | |||
Pensionsgrenze | |||
§ 60 Abs. 1 BAT sieht vor, dass das Arbeitsverhältnis des Angestellten | Pension mit | ||
im öffentlichen Dienst mit Ablauf des Monats endet, in dem er das 65. | 65 Jahren | ||
Lebensjahr vollendet. Diese Regelung dient auch dem Interesse von jün- | |||
geren ArbN an einem leichteren Einstieg in den Arbeitsmarkt. | |||
Dem Gesetzgeber sollte es daher ohne weiteres möglich sein, gemäß | |||
Art. 6 Abs. 1 RL eine solche feste Altersgrenze, auch wenn sie diskrimi- | |||
nierend wirkt, als beschäftigungspolitisches Instrument für legitim zu | |||
erklären. |
Arbeitsrecht aktiv 2 | 2004 | 31 |
Gesetzgebungsverfahren | |||
Mittelbare Diskriminierung durch neutrale Vorschriften | |||
Eine mittelbare Diskriminierung liegt gemäß Art. 2 Abs. 2 Lit. b. RL vor, | |||
wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften Personen eines bestimm- | |||
ten Alters benachteiligen können: | |||
Beispiel | |||
Die Hochschulabsolventen A (30) und B (40) arbeiten seit 2 bzw. 6 Jah- | |||
ren im öffentlichen Dienst und werden nach der Vergütungsgruppe IIa | |||
Fallgruppe 1c bezahlt. B kommt nach sechsjähriger Dienstzeit in den | |||
Genuss eines Bewährungsaufstiegs und wird nunmehr nach Vergütungs- | |||
gruppe Ib Fallgruppe 1e entlohnt. | |||
Bewährungs- | |||
Naturgemäß sind 30-jährige ArbN weniger lang im öffentlichen Dienst | |||
beschäftigt als ArbN im Alter von 40. Sie werden daher weitaus seltener | aufstieg erst ab | ||
in den Genuss eines Bewährungsaufstiegs kommen. Die an sich neutra- | bestimmtem | ||
len Regelungen der Vergütungsordnung wirken sich daher mittelbar | Alter möglich | ||
benachteiligend aus. | |||
Praxishinweis: Anders als unmittelbare Diskriminierungen können die- | Rechtfertigung | ||
se jedoch gemäß Art. 2 Abs. 2 Lit. b.i. RL durch jedes rechtmäßige Ziel | einfacher möglich | ||
gerechtfertigt sein, sofern es zur Zielerreichung angemessen und erfor- | |||
derlich ist. Die Vorschrift des BAT soll Angestellten, die Berufserfahrung | |||
gesammelt haben und dadurch leistungsfähiger sind, eine höhere Ver- | |||
gütung sichern. Dies ist zweifelsfrei ein legitimes Ziel. Anhand des Ein- | |||
zelfalls wird aber immer zu prüfen sein, ob die Fristen von bis zu zehn | |||
Jahren angemessen und erforderlich sind. Den Tarifvertragsparteien ist | |||
dabei europarechtlich zugute zu halten, dass die Bewährungszeiten von | |||
zwei Jahren mit dem Schwierigkeitsgrad der übertragenen Aufgaben | |||
bis auf zehn Jahre steigen und der Angestellte sich in der Zeit als weite- | |||
re Voraussetzung auch tatsächlich bewährt haben muss (§ 23a Nr. 1 BAT). | |||
Rechtsfolgen bei tarifvertraglichen Verstößen | |||
Die Rechtsfolgen von tarifvertraglichen Verstößen gegen Diskriminie- | Anwendung zu | ||
rungsverbote sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt. Die diskri- | Gunsten der | ||
minierenden Regelungen sind auch zu Gunsten der benachteiligten | benachteiligten | ||
Gruppe anzuwenden (EuGH NZA 98, 205; EuGH NZA 03, 506 – beide | Gruppe | ||
Urteile ergingen zu diskriminierenden Tarifvorschriften des öffentlichen | |||
Diensts). | |||
Die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Diensts haben im Hinblick auf | |||
die RL im Rahmen des aktuellen Tarifvertragsabschlusses vom 10.1.03 | |||
geregelt, bis zum 31.1.05 einen diskriminierungsfreien BAT vereinbaren | |||
zu wollen. Das wird aber nur möglich sein, wenn die Bundesrepublik | |||
zuvor die Ziele im Sinne von Art. 6 Abs. 1 RL festlegt, derentwegen | |||
Ungleichbehandlungen gerechtfertigt sein sollen. Deutschland wird in | |||
eigenem Interesse aber zumindest die Zusatzfrist bis zum 2.12.06 ein- | |||
halten. Denn anders als private ArbG kann sich die öffentliche Hand als | |||
ArbG nach Ablauf der Umsetzungsfrist nicht mehr auf die fehlende Um- | |||
setzung berufen (EuGH NZA 03, 506). |
Arbeitsrecht aktiv 2 | 2004 | 32 |