Arbeitsrecht aktiv 8/2003
Ausgleichsklausel
Der Verzicht auf Ansprüche durch Ausgleichsklauseln
von RA Rainer Polzin, Berlin
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag oder gerichtlichen Vergleich haben die Parteien häufig den Wunsch, die wechselseitigen Rechtsbeziehungen abschließend zu regeln. Keine Partei soll später noch mit Ansprüchen, die über die ausdrücklich geregelten hinausgehen, an die andere Partei herantreten können. Der Beitrag erläutert die Punkte, die beim Abfassen einer Ausgleichsklausel zu beachten sind. Er zeigt zudem auf, welche Ansprüche verzichtbar sind und welche nicht.
Auslegung von Ausgleichsklauseln
Nach der Rechtsprechung des BAG sind Ausgleichsklauseln in gerichtlichen Vergleichen und Aufhebungsverträgen gem. §§ 133, 157 BGB grundsätzlich weit auszulegen (BAG AP Nr. 74 zu § 74 HGB = NZA 03, 100, Abruf-Nr. 030560; vgl. dazu die Urteilsbesprechung Rummel, AA 03, 14*). Dies ist erforderlich, um klare Verhältnisse zu schaffen.
Beispiel
Im vorgenannten Fall hatten ArbN und ArbG bei Abschluss des Arbeitsvertrags ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart. Nach arbeitgeberseitiger Kündigung schlossen sie einen zwölf Punkte umfassenden, detaillierten gerichtlichen Vergleich, der unter anderem die Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorsah und eine allgemeine Ausgleichsklausel beinhaltete, wonach sämtliche Ansprüche mit der Vereinbarung ausgeglichen sein sollten. Das Wettbewerbsverbot war weder Gegenstand des Vergleichs noch der vorherigen Vergleichsverhandlungen. Der ArbN klagte auf Karenzentschädigung.
Das BAG wies die Klage ab. Zwar hatten die Parteien nicht über die einvernehmliche Aufhebung des Wettbewerbsverbots verhandelt, so dass kein übereinstimmender Wille anzunehmen sei. In einem solchen Fall seien die Erklärungen aber aus der Sicht des Erklärungsempfängers unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und des Grundsatzes von Treu und Glauben auszulegen. Da sämtliche Ansprüche ausgeglichen werden sollten, sei eine einvernehmliche Aufhebung des Wettbewerbsverbots anzunehmen.
Praxishinweis: Für die Auslegung von Ausgleichsklauseln sind auch die Umstände des Zu-Stande-Kommens und das Verhalten der Parteien nach Vertragsschluss maßgeblich (BAG, a.a.O.).
Zahlungsansprüche beider Parteien
Durch die weite Auslegung werden grundsätzlich alle Zahlungsansprüche im Arbeitsverhältnis erfasst. Dies gilt nicht nur für den Lohnanspruch des ArbN. Wird dieser unter Fortzahlung der Bezüge bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses freigestellt, verliert der ArbG sein Recht auf Anrechnung anderweitiger Bezüge gemäß § 615 S. 2 BGB durch die allgemeine Ausgleichsklausel (LAG Hamm DB 91, 1577). Auch Schadenersatzansprüche gehen verloren. Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung aber unabhängig von der Schadenshöhe, wenn der ArbN dem ArbG vorsätzlich einen Schaden zugefügt hat, der diesem bei Vereinbarung der Ausgleichsklausel noch unbekannt war (BAG DB 72, 2216: 80 DM; LAG Düsseldorf MDR 02, 160: 180.000 DM) bzw. bei Rückzahlungsansprüchen aus einem rechtlich selbstständigen Darlehen (LAG Hamm NZA-RR 96, 286).
Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers
Die Klausel erfasst aber nicht nur Zahlungsansprüche. Auch ein etwaiger Wiederein- stellungsanspruch des ArbN nach betriebsbedingter Kündigung wird durch die Aus- gleichsklausel ausgeschlossen (LAG Hamm BB 00, 308).
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Nicht von der Ausgleichsklausel erfasste Ansprüche
Selbst bei einer weiten Auslegung werden einige verzichtbare Rechte von der Ausgleichsklausel nicht erfasst:
- Arbeitszeugnis (BAG AP Nr. 9 zu § 630 BGB = NJW 75, 407). Die für das berufliche Fortkommen entscheidende Zeugnisbedeutung geht der Ausgleichsklausel vor;
- Zeugnisberichtigungsanspruch (LAG Düsseldorf NZA-RR 96, 42);
- Lohnsteuerkarte und sonstige Arbeitspapiere (vgl. R. 135 LStR 2002). Ein Erlass bringt dem ArbG keine Vorteile, dem ArbN aber regelmäßig Nachteile im Rechtsverkehr mit dem Finanzamt, der Bundesanstalt für Arbeit oder dem neuen ArbG;
- Titulierte (Zahlungs-)Ansprüche (LAG Frankfurt BB 86, 136). ArbG und ArbN werden auf solche Ansprüche nur verzichten wollen, wenn dies ausdrücklich geregelt wurde. Auch wäre die Sicherheit des Rechtsverkehrs erheblich beeinträchtigt, wenn eine allgemein gehaltene Klausel einem Vollstreckungstitel entgegengehalten werden könnte;
- Sachenrechtliche Herausgabeansprüche, z.B. Rückgabe von Arbeitsmitteln. Das LAG Berlin (NZA-RR 97, 124) hat zu Recht angenommen, dass eine Ausgleichsklausel nicht den Anspruch des ArbG auf Rückgabe von Schlüsseln und Fahrzeugpapieren eines Dienstwagens ausschließt. Allerdings besteht ebenfalls eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag, das Eigentum dem jeweiligen Vertragspartner bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückzugeben. Daher handelt es sich auch um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis.
Praxishinweis: Der Mandant sollte vor Vereinbarung einer Ausgleichsklausel intensiv nach noch offenen Ansprüchen befragt werden. Die Ausgleichsklausel sollte nur zur endgültigen Befriedung eingesetzt werden. Bekannte Ansprüche, auf die eine Partei verzichtet, sollten ebenso klarstellend im gerichtlichen Vergleich und im Aufhebungsvertrag („insbesondere …“) erwähnt werden, wie sämtliche noch zu erfüllenden Ansprüche.
Unverzichtbare Arbeitnehmeransprüche
Verschiedene arbeitsrechtliche Gesetze schließen einen Verzicht von Ansprüchen durch den ArbN aus bzw. knüpfen ihn an besondere Bedingungen:
- Der gesetzliche Mindesturlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommen werden kann, ist zwingend abzugelten (§ 7 Abs. 4, § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG). Ausnahme: Auf schon fällig gewordene Ansprüche auf Entgeltfortzahlung und Urlaubs- abgeltung kann in einem Vergleich oder einer Ausgleichsquittung verzichtet werden.
- Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist unabdingbar (§ 12 EZFG), Ausnahme: wie beim vorherigen Punkt.
- Kraft Gesetzes auf Dritte übergegangene Ansprüche kann der ArbN dem ArbG nicht mehr erlassen (z.B. im Fall des § 115 Abs. 1 SGB X auf die Bundesanstalt für Arbeit).
- Unverfallbare Ansprüche aus einer betrieblichen Altersversorgung können nur abge- funden werden und dies lediglich unter besonderen Voraussetzungen (§ 3 BetrAVG).
Ein Verzicht auf ArbN-Rechte aus einer Betriebsvereinbarung ist nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig (§ 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG). Ein Verzicht auf bereits entstandene Leistungen aus einem unmittelbar und zwingend geltenden Tarifvertrag – also nicht nur kraft einzelvertraglicher Bezugnahme – ist ausschließlich im Rahmen eines durch die Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleichs möglich (§ 4 Abs. 4 S. 1 TVG).
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Eine Ausgleichsklausel, die solche Ansprüche erfasst, ist wegen Verstoßes gegen ein rechtliches Verbot rechtsunwirksam (§ 134 BGB). Im Hinblick auf § 139 BGB besteht die Gefahr, dass eine nichtige Klausel die gesamte Abrede erfasst.
Praxishinweis: Ausgleichsklauseln sollten daher prinzipiell nur verzichtbare Ansprüche erfassen, um die Gefahr der Gesamtnichtigkeit auszuschließen.
Ausnahmen bei unverzichtbaren Arbeitnehmeransprüchen
Wenn die Parteien sich allerdings über die tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen von unverzichtbaren Ansprüchen gestritten haben und ihre Auseinandersetzung mit einemTatsachenvergleich gem. § 779 BGB beenden, scheidet ein Verstoß gegen die genannten Verbotsnormen aus. Dies entschied das BAG u.a. für
- tarifvertragliche Leistungen (BAG AP Nr. 17 zu § 4 TVG = NZA 98, 434),
- Sozialplanansprüche (BAG AP Nr. 63 zu § 77 BetrVG 1972 = NZA 97, 167),
- Versorgungsansprüche (BAG AP Nr. 3 zu § 3 BetrAVG = NZA 95, 421),
- einen als Schadenersatz geschuldeten Versorgungsverschaffungsanspruch (BAG AP Nr. 56 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen = NZA 01, 203).
Allerdings ist zweifelhaft, ob eine allgemein gehaltene Ausgleichsklausel einen Vergleich über konkret streitige Tatsachen darstellen kann. Schon ihr Wortlaut spricht regelmäßig dagegen. Zudem kommt es schnell zu Beweisproblemen, wenn es bei Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag kaum Schriftwechsel gibt oder in einem gerichtlichen Vergleich nicht rechtshängige unverzichtbare Ansprüche mitverglichen werden. Es kann dann im Streitfall unmöglich sein, die für die Wirksamkeit eines Vergleichs notwendige „ungewisse Sachlage“ darzulegen.
Praxishinweis: Streiten sich die Parteien über die tatsächlichen Voraussetzungen unver- zichtbarer Arbeitnehmeransprüche, sollten in einer expliziten Regelung die Streitpunkte genau erwähnt und ausgeräumt werden.
Beispiel
„Der Kläger hat seine Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet. Daher besteht für den Zeitraum vom 1.3.03 bis zum 31.3.03 kein Entgeltfortzahlungsanspruch.“ oder „Der Urlaub wurde vollständig in Natur gewährt. Dem ArbN steht keine Urlaubsabgeltung zu.“
Ausgleichsquittung
Von einer Ausgleichsquittung wird im Unterschied zu einer Ausgleichsklausel gespro- chen, wenn der ArbN aus Anlass der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses eine Erklärung unterschreibt, nach der ihm keine Ansprüche gegen den ArbG mehr zustehen, ohne dass zuvor Vergleichsgespräche stattgefunden haben. Da der ArbN solche Quittungen zumeist unüberlegt unterzeichnet, werden sie vom BAG im Gegensatz zu Ausgleichsklauseln grundsätzlich eng ausgelegt. So ist ohne eindeutigen Hinweis in einer solchen Erklärung kein Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage zu sehen (BAG AP Nr. 6 zu § 4 KSchG 1969 = NJW 79, 2267).
Praxishinweis: Vorformulierte Verzichtserklärungen unterliegen nach der Schuldrechts- reform der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Lediglich einseitige Verzichtserklärungen des ArbN halten einer Inhaltskontrolle nicht stand, da sie ihn mangels Gegenleistung unangemessen benachteiligen (Reinecke, DB 02, 583, 586). In der Praxis wesentlich seltener sind Quittungen, in denen auch der ArbG einen Verzicht erklärt. Aber auch hierin wird allenfalls dann eine Gegenleistung zu sehen sein, wenn der ArbG auch tatsächlich auf Ansprüche verzichtet. Der ArbN-Anwalt sollte die Ausgleichsquittung daher auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von AGB-Recht prüfen.
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