Arbeitslosengeld

Arbeitslosengeld
Die Anrechnung von Arbeitseinkommen auf
ALG II kann zu bösen Überraschungen führen
von RA Rainer Polzin, Berlin
Der ArbN ist zur Vorleistung verpflichtet. Löhne und Gehälter werden
nach § 614 S. 2 BGB i.d.R. erst zum Monatsende fällig. Hingegen besteht
Anspruch auf Arbeitslosengeld II (ALG II) frühestens ab Antragstellung
(§ 37 Abs. 2 S. 2 SGB II). Nachstehend wird anhand einiger Beispiele er-
läutert, welche negativen Folgen dieser Umstand für ArbN beim Wechsel
zwischen ALG II-Bezug und Erwerbsleben haben kann und was bei ver-
späteter Lohnzahlung durch den ArbG zu beachten ist.
Grundsatz: Das Zuflussprinzip
Bei der Berechnung des ALG II gilt das Zuflussprinzip (§ 2 Abs. 2 und 3 ALGBerücksichtigung
II-VO): Einkommen ist in dem Monat zu berücksichtigen, in dem es zufließt.im Zuflussmonat
Unerheblich ist, ob es sich um laufende Einnahmen z.B. aus einer Nebentä-
tigkeit handelt oder um Zahlungen aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.
Beispiel 1

A bezieht ALG II. Zwischen dem 1.2. und 31.3.05 ist er befristet beschäftigt. Danach ist er wieder arbeitslos ohne Anspruch auf ALG I zu haben.

Scheidet A am 31.3.05 aus dem Arbeitsverhältnis aus und wird sein Lohn Anfang April bezahlt, ist diese Zahlung als Einkommen im April zu berücksichtigen. Er erhält dann kein ALG II. Das Februar- Gehalt fand bei Zahlung im März Berücksichtigung. Im Februar hatte A demnach kein Einkommen.

Praxishinweis: Es ist zu empfehlen, den Antrag auf ALG II trotz des Beginns
eines Arbeitsverhältnisses mindestens für den Monat der Arbeitsaufnah-
me aufrecht zu erhalten. Zahlt der ArbG erst im Folgemonat das Gehalt,
hat der ArbN auch Anspruch auf ALG II im Monat der Arbeitsaufnahme.
Anrechnung von Ausgaben bei der Einkommensberechnung
Von dem um Steuern und Sozialversicherungsabgaben geminderten Brutto-Zur Einkommens-
einkommen (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB II) können auch die mit der Erzielungerzielung nötige
des Einkommens notwendigen Ausgaben wie Fahrtkosten abgezogen werdenAusgaben sind
(§ 1 Abs. 2 Nr. 5 SGB II). Hinzu kommt weiterhin der Erwerbstätigen-Freibetragabziehbar
gem. § 11 Abs. 2 Nr. 6 SGB II.
Beispiel 2

B bezieht seit dem 1.2.05 ALG II. Aus einem früheren Beschäftigungsverhältnis hat er noch Ge- haltsansprüche von 3.000 EUR brutto aus Oktober und November 04, die sein früherer ArbG am 15.3.05 ausgezahlt hat. Sein Rechtsanwalt stellt ihm für seine außergerichtliche Tätigkeit 308,21 EUR in Rechnung, die er noch im März 05 bezahlt.

Anwaltskosten sind gem. § 11 Abs. 2 Nr. 6 SGB II abziehbar. Alleine der Rechnungserhalt stellt noch keine Ausgabe i.S. des § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II dar.Will B die Anwaltsrechnung erst in einem späteren Monat zahlen, in dem er aber kein Einkommen hat, bringt er sich um die Anrechnungsmöglichkeit.

Arbeitsrecht aktiv 10|2005169

Arbeitslosengeld

Das nach Abzug aller Freibeträge verbleibende Nettoeinkommen wird sodann auf das ALG II für die Folgemonate angerechnet (§ 2 ALG II-VO, Eicher/Spellbrink, SGB II, Rn. 8 ff. zu § 2 ALG II-VO). Die Anrechnung erfolgt also nicht nur auf das ALG II für den Monat März 2005.

Beispiel 3

Hat B im Beispiel 2 ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.500 EUR und einen monatlichen Bedarf von 750 EUR, erhält er in den Monaten März und April 2005 keine Leistungen.

Praxishinweis: Wegen der Einkommensanrechnung kann es im EinzelfallRückständigen
ratsam sein, auf eine Geltendmachung rückständiger GehaltsansprücheLohnanspruch nicht
gegen frühere ArbG zu verzichten. Der ALG II-Träger hat nach § 33 Abs. 1immer einklagen
SGB II die Möglichkeit, die Ansprüche an sich zu ziehen. Zudem ist der
wirtschaftliche Nutzen für den ALG II-Bezieher, gerade im Hinblick auf das
Kostenrisiko, regelmäßig fraglich.

Berücksichtigung von Schulden

Schulden aus Dispo-Krediten sind bei der ALG II-Berechnung nicht zu berücksichtigen.

Beispiel 4

Im Beispiel 2 hat B im Dezember 04 wegen des ausbleibenden November-Gehalts seinen Dispo- Kredit um 1.000 EUR überzogen, da er über keinerlei Geldreserven verfügte. Diese Schulden sind bei Stellung des ALG II-Antrags am 1.2.05 noch vorhanden.

Die Schulden sind bei der ALG II-Berechnung II nicht berücksichtigungsfähig: Es handelt sich insbe- sondere nicht um Ausgaben, die mit der Erzielung von Einkommen notwendig verbunden sind.

Praxishinweis: Ob der ArbG für solche Schäden bei Vorliegen der Voraus-Schadenersatz-
setzungen des Verzugs aufkommen muss, ist soweit ersichtlich bisheransprüche gegen
nicht geklärt. Ausgeschlossen erscheint dies insbesondere nicht, wennArbeitgeber
der ArbG Kenntnis vom bevorstehenden ALG II-Bezug hatte. Das BAG
hat geurteilt, dass der ArbG bei über das Jahresende hinaus verzöger-
ter Lohnzahlung auch für einen Steuerschaden aufkommen muss (BAG
EzA § 611 BGB Arbeitgeberhaftung Nr. 11 = NZA 03, 268). Problematisch
könnte sein, ob dem ArbN infolge der unterlassenen Antragstellung ein
Mitverschulden anzulasten ist. In jedem Fall sollte der Rechtsanwalt darauf
achten, dass er den ArbG auf Freistellung des B von der Forderung der
Bank aus dem Kontokorrent verklagt. Bei einer Zahlungsklage besteht
ansonsten die Gefahr, dass der Schadenersatzbetrag als Einkommen
angerechnet wird.
Bei verzögerten Lohnzahlungen sollten ArbN immer darauf hingewiesenBei Verzug
werden, dass nur eine Meldung bei der Arbeitsagentur Nachteile wieArbeitsagentur
im Beispielsfall 4 vermeidet. Diese kann nämlich auch im bestehendeninformieren
Arbeitsverhältnis zur Leistung von ALG II verpflichtet sein. Dringend ab-
zuraten ist von der Inanspruchnahme von Krediten.
Arbeitsrecht aktiv 10 | 2005170