Mitbestimmung
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Der Sozialplan als Nachteilsausgleich
oder -milderung bei der Betriebsänderung
von RA Rainer Polzin, Berlin
Bei Verhandlungen über geplante Betriebsänderungen steht die Einigung
über den Sozialplan und Abfindungen im Vordergrund, denn die Betriebsräte müssen der
Belegschaft regelmäßig nicht die vom Unternehmer geplanten Betriebs-
änderungen „verkaufen“, sondern erklären, was sie für die Kollegen
im Rahmen der Sozialplanverhandlungen als Ausgleich herausgeholt
haben. Der Beitrag stellt den Sozialplan und seine Auswirkungen bei der
Betriebsänderung vor.
Inhalt und Erzwingbarkeit des Sozialplans
Durch den Sozialplan sollen wirtschaftlich nachteilige Folgen, die ArbNAusgleich von
infolge geplanter Betriebsänderungen (§ 111 BetrVG) entstehen, ausge-wirtschaftlichen
glichen bzw. gemildert werden (§ 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG). In der PraxisNachteilen
geschieht dies insbesondere durch Zahlung von Abfindungen an aus-
scheidende ArbN. Als Nachteilsausgleich kommen jedoch auch andere
finanzielle Leistungen in Betracht, z.B. Übernahme von Reise- und Um-
zugskosten bei räumlichen Versetzungen oder Ausgleichszahlungen bei
der Übertragung von tariflich schlechter bezahlten Tätigkeiten.
Unter Beachtung der Vorgaben des § 112a BetrVG kann der SozialplanSozialplan ist
durch den Betriebsrat erzwungen werden. Kommt eine Einigung überdurch Betriebsrat
einen erzwingbaren Sozialplan nicht zu Stande, entscheidet nach Anru-erzwingbar
fung die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Eini-
gung zwischen den Betriebsparteien (§ 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG). Diese soll
bei ihrer Ermessensentscheidung die sozialen Belange der ArbN einer-
seits und die finanzielle Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unter-
nehmen andererseits beachten (§ 112 Abs. 5 BetrVG).
Persönlicher Geltungsbereich des Sozialplans
Der Sozialplan gilt grundsätzlich für alle ArbN mit Ausnahme der leiten-Leistungen
den Angestellten (§ 5 BetrVG). Bei der näheren Definition der Anspruchs-müssen nicht für
berechtigung ist insbesondere der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungs-alle ArbN gelten
grundsatz bzw. die Vorschrift des § 75 BetrVG zu beachten. Dem ent-
spricht es, von den Leistungen eines Sozialplans solche Beschäftigte
auszunehmen, deren Arbeitsverhältnis nicht auf Grund der sozialplan-
pflichtigen Betriebsänderung enden wird. Hierzu gehören:
befristet tätige ArbN, deren Arbeitsverhältnis durch Zeitablauf endet,
ArbN, denen aus personen- bzw. verhaltensbedingten Gründen frist-
gemäß oder fristlos gekündigt wird,
ArbN, die in Altersrente gehen, sowie
ArbN, die einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz angeboten bekom-
men, diesen aber ablehnen.
Arbeitsrecht aktiv 1 | 20047

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Praxishinweis: Es spielt für den Anspruch keine Rolle, auf welchem WegeBeendigungsart
das Arbeitsverhältnis endet, solange die Beendigung ihre Ursache in derdes Arbeitsver-
Betriebsänderung hat. Denn ein ArbN kann durchaus ein Interesse daranhältnisses ist
haben, eine Eigenkündigung auszusprechen oder einen Aufhebungs-unbeachtlich
vertrag ohne Beachtung der Kündigungsfrist mit dem ArbG zu schließen,
wenn er weiß, dass sein Arbeitsverhältnis in absehbarer Zeit wegen der
Betriebsänderung enden wird, er aber kurzfristig ein neues Arbeitsver-
hältnis eingehen kann (Gaul, DB 98, 1513, 1514).
Häufig wird im Falle einer vorfristigen Beendigung des Arbeitsverhält-
nisses vereinbart, dass ein Teil des ansonsten zu zahlenden Gehalts noch
als Abfindung gezahlt wird. Für den ArbN besteht so ein Anreiz, möglichst
schnell ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen. Der ArbG kann Lohn-
kosten sparen.
Behandlung von Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten
Teilzeit- bzw. geringfügig beschäftigte ArbN dürfen von Sozialplanan-Leistungen im
sprüchen nicht ausgenommen werden (§ 4 Abs. 1 TzBfG). Dem Grund-Verhältnis zur
satz der Gleichbehandlung entspricht es, dass sie die Leistungen nurArbeitszeit
anteilig im Verhältnis ihrer Arbeitszeit zur betriebsüblichen Arbeitszeit
erhalten (BAG NZA 93, 515, 516).
Sozialplanansprüche sind unabhängig von Kündigungsrechtsstreit
Die Leistung von Sozialplanansprüchen darf nicht davon abhängig ge-
macht werden, ob der ArbN gerichtlich gegen seine Kündigung vorgeht.
Dies würde ihn unzulässig in seinen zwingenden gesetzlichen Rechten
beschneiden (BAG AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG = NZA 84, 53).
Praxishinweis für den ArbG-Vertreter: Die Fälligkeit der Abfindung sollteZeitpunkt der
auf den Zeitpunkt der rechtskräftigen Beendigung des Kündigungs-Fälligkeit der
rechtsstreits hinausgeschoben werden (BAG AP Nr. 33 zu § 112 BetrVGAbfindung
= NZA 86, 258). Der ArbG müsste sonst Zahlungen leisten und trüge
zudem das Prozessrisiko. Zweckmäßig ist eine so genannte Anrechnungs-
klausel, wonach evtl. gerichtlich zugesprochene oder im Wege eines Ver-
gleichs vereinbarte Abfindungen bzw. gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG aus-
geurteilte Zahlungsansprüche auf Sozialplanabfindungen angerechnet
werden. Ansonsten läuft der ArbG Gefahr, doppelt bezahlen zu müssen.
Beurteilungskriterien der Abfindung aus dem Sozialplan
Der Sozialplan soll zukunftsbezogen seiner sozialen Vorsorgefunktion (BAGKriterien für
AP Nr. 103 zu § 112 BetrVG = NZA 97, 165) gerecht werden. Dem ent-Abfindungshöhe
spricht es, die Höhe der Abfindungen an folgende Kriterien zu koppeln:
Dauer der Betriebszugehörigkeit,
Lebensalter,
Unterhaltsverpflichtungen,
Schwerbehinderteneigenschaft,
individuelles Einkommen.
Arbeitsrecht aktiv 1 | 20048

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Beispiel: Finanzieller Ausgleich für Arbeitsplatzverlust

Je sozial schutzwürdiger ein ArbN ist, desto höher sollte der finanzielle Ausgleich für den Arbeitsplatzverlust sein. Dies kann bei ArbN X, der nur zwei Jahre bis zur Altersrente überbrücken muss und in dieser Zeit Arbeitslosengeld bezieht, zur Folge haben, dass die Abfindung deutlich geringer ist als bei ArbN Y, der zwar einige Jahre jünger und kürzer im Betrieb beschäftigt ist, aber noch zehn Jahre bis zur Altersrente überbrücken muss. Der Ausgleich erfolgt für die Zukunft, die für Y ungleich ungewisser ist. Daher werden regelmäßig Zuschläge für ArbN mit unterhaltsberechtigten Kindern vereinbart bzw. für Schwerbehinderte, die größere Schwierigkeiten haben, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

Berechnung der Abfindung aus dem Sozialplan
Geboten ist eine Kombination der genannten Kriterien. Das BAG hatGleichheits-
einen Sozialplan, in dem allen ArbN pro Beschäftigungsjahr 75 Prozentgrundsatz des
eines Monatsgehalts als Abfindung durch die Einigungsstelle zugespro-§ 75 BetrVG muss
chen wurde, für nicht mit dem Gleichheitsgedanken vereinbar erklärt.beachtet werden
Dieser gebietet auch, ungleiche Sachverhalte ungleich zu behandeln (BAG
AP Nr. 87 zu § 112 BetrVG = NZA 95, 440).
Praxishinweis: Häufig sind Härtefallfonds sinnvoll: Ein bestimmter Teil
des Sozialplanvolumens wird eingezahlt, um in Einzelfällen besondere
soziale Härten ausgleichen zu können, die in einem Verteilungsschlüssel
keine Berücksichtigung finden können.
Im Rahmen von Sozialplanverhandlungen steht meistens die Einigung
über die Abfindungshöhe für ausscheidende ArbN im Vordergrund.
Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Regelungstechniken:
Es wird über eine Formel verhandelt, die die Betriebszugehörigkeit,Regelungs-
das Lebensalter sowie das individuelle monatliche Arbeitsentgelt be-techniken für
rücksichtigt. Hinzu kommen Zuschläge für UnterhaltsverpflichtungenAbfindungshöhe
bzw. bei Schwerbehinderung.
Es wird mit einer Punktetabelle gearbeitet: Für die genannten Kriterien
werden Punkte verteilt und für jeden einzelnen ArbN addiert. Die Gesamt-
punkte werden mit dem monatlichen Arbeitsentgelt multipliziert.
Praxishinweis: Es ist immer ein klarer Stichtag festzulegen, von demFestlegen eines
aus Lebensalter, Betriebszugehörigkeit usw. beurteilt werden. Das Glei-Stichtags
che gilt für die Festlegung der Einkommenshöhe: Regelmäßig wird ein
Bruttomonatsgehalt zu Grunde gelegt. Dabei ist zu klären, ob etwaige
Zuschläge, Überstundenvergütungen oder anteilig Weihnachts- und
Urlaubsgeld mitberücksichtigt werden. Fehlen Regelungen zum Stich-
tag bzw. zur Bestimmung der Höhe des Monatseinkommens, ist die in-
dividuelle Abfindung kaum zu berechnen.
Steuer- und sozialversicherungsrechtliche Behandlung
Abfindungen sind nicht Einnahmen aus einer Beschäftigung (§ 14 Abs. 1
SGB IV), sondern werden aus Anlass der Beendigung bezahlt und sind
daher sozialversicherungsfrei. Die steuerliche Behandlung von Sozial-
planabfindungen richtet sich nach §§ 3 Nr. 9, 24, 34 Abs. 1 EStG.
Arbeitsrecht aktiv 1 | 20049
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Praxishinweis: Die Betriebsparteien sollten sich mit allgemeinen Hin-
weisen außerhalb der Betriebsvereinbarung – ggf. als Aushang am
schwarzen Brett – zu den steuerlichen Folgen begnügen. Letztlich kann
nur ein Steuerberater, der auch die individuellen Verhältnisse des ArbN
kennt, zu den steuerlichen Auswirkungen verlässliche Auskünfte geben.
Zeitliche Geltung, Beendigung und Nachwirkung
Aus Sicht der Betriebsparteien ist es grundsätzlich sinnvoll, die LaufzeitLaufzeit festlegen
des Sozialplans festzulegen. Ansonsten läuft der Unternehmer Gefahr,
auch noch bei späteren betriebsbedingten Kündigungen Sozialplan-
abfindungen zahlen zu müssen.
Ein Sozialplan darf jederzeit gemeinsam von den Betriebsparteien wiederGemeinsame Auf-
aufgehoben werden. Eine ordentliche Kündigung kann im Sozialplanhebung möglich
zugelassen werden. Ansonsten ist eine ordentliche Kündigung eines
Sozialplans, der nur für eine bestimmte Betriebsänderung vereinbart
wurde, nicht möglich. Eine Ausnahme gilt nur bei so genannten Dauer-
regelungen, die über einen längeren Zeitraum wirtschaftliche Nachteile
ausgleichen sollen (BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = DB 84, 598). Hier
hat das BAG zudem offen gelassen, ob und unter welchen Vorausset-
zungen eine außerordentliche Kündigung zulässig sein soll.
Praxishinweis: In jedem Fall ist § 77 Abs. 6 BetrVG zu beachten: Der Sozial-Sozialplan
plan wirkt nach, solange keine neue Regelung gefunden wurdewirkt nach
– die Kündigung wird so häufig ins Leere gehen. Des Weiteren kommt
eine Anpassung des Vertrags bei Störung der Geschäftsgrundlage
(§ 313 BGB) in Betracht (zur Beendigung und Anpassung von Sozial-
plänen: BAG AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG = NZA 95, 480).
Verhandlungstaktik beim Sozialplan
Der Unternehmer, der keinen Interessenausgleich versucht hat, aber den-
noch die Betriebsänderung durchführt, läuft Gefahr, einen Nachteilsaus-
gleich zahlen zu müssen (§ 113 Abs. 3 BetrVG). Die Anforderungen an
den „Versuch“ sind hoch, u.a. muss er die Einigungsstelle anrufen ( ErfK-
Hanau/Kania, § 113 BetrVG, Rn. 8). Aus Sicht des ArbG ist daher ein schnel-
ler Interessenausgleich wünschenswert, um die Betriebsänderung durch-
führen zu können. Dann ist die oben beschriebene Gefahr ausgeschlos-
sen. Aus seiner Sicht wäre es gut, erst den Interessenausgleich
abzuschließen und dann ohne Zeitdruck die Sozialplanverhandlungen zu
führen. Genau dies wird der gut beratene Betriebsrat nicht mitmachen.
Denn Zeit ist Geld für den Unternehmer und je mehr Druck auf ihm lastet,
desto besser ist die Verhandlungsposition des Betriebsrats.
Geltendmachung von Sozialplanansprüchen durch den Arbeitnehmer
Der Sozialplan hat gem. § 112 Abs. 1 S. 3 BetrVG die Wirkung einerSozialplan gilt
Betriebsvereinbarung und gilt unmittelbar und zwingend zwischen ArbNunmittelbar und
und ArbG (§ 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG). Dies hat zur Folge, dass ArbN An-zwingend
sprüche aus dem Sozialplan gerichtlich verfolgen können. Hierbei kön-
nen Sie geltend machen, dass sie durch Regelungen des Sozialplans
benachteiligt wurden (BAG AP Nr. 18 zu § 112 BetrVG = DB 84, 598) und
so ggf. eine höhere Abfindung durchsetzen.
Arbeitsrecht aktiv 1 | 200410

Weiterbeschäftigung

Regelmäßig sind Sozialplanansprüche zum Zeitpunkt ihres EntstehensFälligkeit der
fällig. Dies ist – sofern der Sozialplan hierzu keine Regelung enthält – derAnsprüche
Tag des Ausscheidens aus dem Betrieb. Dann sind zumeist alle Tat-
bestandsvoraussetzungen erfüllt (ErfK- Hanau/Kania, §§ 112, 112a BetrVG,
Rn. 30). Der Anspruch kann erst nach Entstehen vererbt werden.
Praxishinweis: Zu beachten sind etwaige tarifvertragliche Ausschluss-Tarifvertragliche
fristen. Der Tarifvertrag steht in der Normenhierarchie über einer Be-Ausschlussfristen
triebsvereinbarung. Daher kann eine tarifvertragliche Ausschlussfrist
einem Sozialplananspruch entgegengehalten werden (BAG AP Nr. 89 zu
§ 112 BetrVG = NZA 95, 492). Keine Rolle spielen dagegen arbeits-
vertraglich vereinbarte Ausschlussfristen. Die Betriebsvereinbarung steht
nämlich in der Normhierarchie über dem Arbeitsvertrag. Unter Beach-
tung der Vorgaben des Tarifvertrags und des Günstigkeitsprinzips sollte
eine eigenständige Regelung im Sozialplan vereinbart werden.
Arbeitsrecht aktiv 1 | 200411