Individualarbeitsrecht
Individualarbeitsrecht | |
Der Anspruch des teilzeitbeschäftigten | |
ArbN auf Verlängerung seiner Arbeitszeit | |
von RA Rainer Polzin, Berlin | |
Das Teilzeit- und Befristungsgesetz gibt nicht nur dem vollzeitbeschäf- | |
tigten ArbN einen Anspruch auf Verringerung seiner Arbeitszeit. Auch | |
umgekehrt können teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter unter den Vorausset- | |
zungen des § 9 TzBfG die Verlängerung ihrer Arbeitzeit beanspruchen. | |
Der Beitrag erläutert die Details des Anspruchs. | |
Voraussetzungen | |
Anders als beim Anspruch auf Arbeitszeitverringerung muss der Betrieb | Keine Mindest- |
nicht 15 oder mehr ArbN beschäftigen. Die in der Checkliste aufgezeig- | betriebsgröße |
ten Voraussetzungen werden anschließend näher dargestellt. | erforderlich |
Checkliste: Voraussetzungen des Verlängerungsanspruchs |
1.Teilzeitbeschäftigter ArbN hat Wunsch nach Verlängerung seiner ver- traglichen Arbeitszeit angezeigt.
2.Ein entsprechender freier Arbeitsplatz ist vorhanden.
3.Dringende betriebliche Erfordernisse oder Arbeitzeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter ArbN stehen nicht entgegen.
4.Ein anderer ArbN ist nicht besser für den Arbeitsplatz geeignet.
5.Rechtsfolge: ArbN hat Anspruch auf Übertragung des freien Arbeits- platzes durch den ArbG.
Verlängerungswunsch
Der Wunsch des ArbN nach Verlängerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit ist formlos möglich, muss also nicht schriftlich erfolgen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist es auch nicht notwendig, den Umfang der Erhöhung anzugeben. Allerdings sollte der ArbN die gewünschte Stundenanzahl ungefähr mitteilen, da der ArbG ansonsten nicht über- prüfen kann, welche freien Arbeitsplätze in Betracht kommen. Das LAG Berlin (Urteil vom 2.12.03, 3 Sa 1041/03, r.kr., n.v., Abruf-Nr. 042021*) hat zudem entschieden, dass sich die Anzeige nicht auf einen bestimmten Arbeitsplatz beziehen muss.
Entsprechender freier Arbeitsplatz
Nach dem Gesetzeswortlaut muss der ArbG durch eine unternehmerische Entscheidung einen zu besetzenden Arbeitsplatz geschaffen haben. § 9 TzBfG beruht allerdings auf Art. 1 der europäischen RL 97/81/EG i.V.m. § 5 Ziff. 3 b) der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (Nipperdey Nr. 891). Danach sind ArbG im Rahmen des Möglichen verpflichtet, Anträge auf Erhöhung der Arbeitszeit oder Wechsel in ein Vollzeitarbeitsverhältnis zu berücksichtigen. Im Hinblick auf diese europarechtliche Vorgabe dürfte auch die bloße Möglichkeit der Erhöhung der Stundenanzahl des teilzeit- beschäftigten ArbN auf seinem derzeitigen Arbeitsplatz ausreichend sein (Meinel/Heyn/Herms, TzBfG, § 9, Rn. 18).
Verlängerung kann formlos beim ArbG beantragt werden
Es muss ein freier Arbeitsplatz zur Verfügung stehen
*Alle besprochenen Urteile können Sie jederzeit kostenlos im Internet abrufen
Arbeitsrecht aktiv 9 | 2004 | 149 |
Individualarbeitsrecht | |
Praxishinweis: Der Streit über die Auslegung ist relevant, wenn der ArbG | |
regelmäßig und über einen langen Zeitraum Überstunden anordnet, um | |
seinen Mehrbedarf an Arbeit zu decken, statt einen neuen Arbeitsplatz | |
zu schaffen, auf den sich teilzeitbeschäftigte ArbN bewerben könnten. | |
Das BAG hat hierzu noch nicht entschieden. In anderem Zusammenhang | ArbG muss Über- |
musste sich der ArbG aber nicht auf die Möglichkeit einer Neueinstellung | stunden nicht in |
unter Abbau von Überstunden verweisen lassen (Urteil vom 9.12.03, | neuen Arbeitsplatz |
9 AZR 16/03, n.v., Abruf-Nr. 040017). Geklagt hatte ein ArbN, der die Ver- | umwandeln |
ringerung seiner Arbeitszeit um 14 Wochenstunden verlangte. Der ArbG | |
hatte nachvollziehbar dargelegt, dass er für 14 Wochenstunden keine qua- | |
lifizierte Fachkraft bekommen könne. Das LAG gab in der Vorinstanz der | |
Klage auf Verringerung der Arbeitszeit statt. Es habe die Möglichkeit be- | |
standen, Überstunden abzubauen und dadurch einen neuen Vollzeitarbeits- | |
platz zu schaffen, der auch hätte besetzt werden können. Das BAG ent- | |
schied jedoch anders, es hielt den ArbG hierzu nicht für verpflichtet. | |
Eignung für Arbeitsplatz | |
Darüber hinaus muss der teilzeitbeschäftigte ArbN für den freien Arbeits- | ArbN muss |
platz geeignet sein. Insbesondere ist der ArbG nicht verpflichtet, ihn bei | für Arbeitsplatz |
der Vergabe von freien Arbeitsplätzen zu berücksichtigen, für die der | geeignet sein |
ArbN entweder nicht ausreichend qualifiziert oder überqualifiziert ist | |
(Meinel/Heyn/Herms, TzBfG, § 9, Rn. 20). | |
Entgegenstehende dringende betriebliche Erfordernisse | |
Ist ein anderer freier Arbeitsplatz vorhanden, der den Arbeitszeitwünschen | Betriebliche Belange |
des teilzeitbeschäftigten ArbN entspricht und auf den dieser wechseln | dürfen nicht |
will, ist nur schwer ein entgegenstehender betrieblicher Grund denkbar, | entgegenstehen |
wieso dieser den freien Arbeitsplatz nicht besetzen soll. Nicht ausreichend | |
ist die Begründung, dass der teilzeitbeschäftigte ArbN nicht zu ersetzen | |
sei. Dies würde erkennbar dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen. | |
Wird die Erhöhung der Stundenanzahl des derzeitigen Arbeitsplatzes ver- | |
langt, kann sich der ArbG erfolgreich darauf berufen, dass er eine be- | |
stimmte Tätigkeit nur mit teilzeitbeschäftigten ArbN ausführen will. Das | |
BAG hat in einer neuen Entscheidung gerade wieder bestätigt, dass die | |
unternehmerische Entscheidung, in Zukunft einen Vollzeitarbeitsplatz mit | |
zwei Halbtagskräften zu besetzen, sogar ein dringendes betriebliches Er- | |
fordernis für eine Änderungskündigung darstellen kann (BAG, Urteil vom | |
22.4.04, 2 AZR 385/03, n.v., Abruf-Nr. 042022). | |
Praxishinweis: Da mit dieser Begründung allerdings praktisch jeder | Hohe Anforderungen |
Erhöhungswunsch ausgehebelt werden könnte, sind zumindest hohe An- | an Darlegungslast |
forderungen an die Darlegungslast des ArbG im Prozess zu stellen. Die- | des ArbG |
ser dürfte er beispielsweise mit der Begründung genügen, dass in Spit- | |
zenzeiten mehrere teilzeitbeschäftigte ArbN mit gleichen Aufgaben an- | |
wesend sein müssen und deswegen die Zusammenfassung zweier | |
Teilzeitarbeitsplätze zu einem Vollzeitarbeitsplatz nicht in Betracht kommt. | |
Mögliche Terminprobleme, die durch eine etwaige notwendige Einar- | |
beitungszeit entstehen können, stellen keinen dringenden betrieblichen |
Arbeitsrecht aktiv 9 | 2004 | 150 |
Individualarbeitsrecht | |
Grund dar (LAG Berlin, Urteil vom 2.12.03, 3 Sa 1041/03, Abruf-Nr. 042021). | |
Das Gleiche gilt für das Interesse des ArbG, befristet beschäftigte ArbN | |
dauerhaft zu übernehmen (ArbG Marburg, Urteil vom 12.7.02, 2 Ca 666/ | |
01, n.v., Abruf-Nr. 042023). | |
Entgegenstehende Arbeitszeitwünsche anderer Teilzeitbeschäftigter | |
Mit diesem Tatbestandsmerkmal hat der Gesetzgeber der Selbstverständ- | Auswahl nach |
lichkeit Rechnung getragen, dass bei konkurrierenden Verlängerungs- | billigem Ermessen, |
wünschen mehrerer ArbN nur einer Anspruch auf Übertragung des frei- | keine Verpflichtung |
en Arbeitsplatzes haben kann. Anhand welcher Kriterien der ArbG unter | zur Sozialauswahl |
ihnen auszuwählen hat, hat der Gesetzgeber offen gelassen. Nach dem | |
BAG (AuR 01, 146), das zu einer vergleichbaren Vorschrift eines MTV zu | |
entscheiden hatte, muss die Auswahl des ArbG nach billigem Ermessen | |
(§ 315 Abs. 1 BGB) erfolgen. Dies muss nicht, kann aber anhand sozialer | |
Kriterien erfolgen. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf sah eine solche | |
Regelung vor, letztlich hat der Gesetzgeber aber ausdrücklich davon ab- | |
gesehen, dem ArbG eine entsprechende Vorgabe zu machen (BT-Drucks. | |
14/4625). | |
Kein besser qualifizierter anderer Arbeitnehmer | |
Wann ein anderer ArbN besser qualifiziert ist, ist eine Frage des Einzel- | Qualifizierung |
falls. Es ist ein Vergleich zwischen den persönlichen und fachlichen Vo- | eines anderen |
raussetzungen der Bewerber sowie dem Anforderungsprofil der Stelle | ArbN ist Einzelfall- |
vorzunehmen. Allein die Tatsache, dass ein anderer ArbN auf dem zu | entscheidung |
besetzenden Arbeitsplatz bereits eingearbeitet ist, begründet jedenfalls | |
keine bessere Qualifikation (LAG Berlin, a.a.O.). | |
Rechtsfolgen bei Verstoß | |
Sind die Voraussetzungen erfüllt, ist der ArbG verpflichtet, dem ArbN | Zwei Fallvarianten: |
den freien Arbeitsplatz zu übertragen. Verstößt der ArbG gegen diese | |
Pflicht, stehen dem ArbN prinzipiell zwei Möglichkeiten zur Verfügung: | |
Ist der Arbeitsplatz noch nicht anderweitig besetzt, bietet es sich an, | Arbeitsplatz ist |
mittels einer einstweiligen Verfügung zunächst dem ArbG die ander- | noch nicht besetzt |
weitige Besetzung der Stelle untersagen zu lassen und ihn sodann im | |
Hauptsacheverfahren auf Zustimmung zur Verlängerung der vertrag- | |
lichen Arbeitszeit zu verklagen (Buschmann/Dieball/Stevens-Bartol, | |
TZA, § 9 TzBfG, Rn. 31). | |
Wurde die Stelle hingegen schon anderweitig vergeben, ist der Er- | Arbeitsplatz ist |
füllungsanspruch des ArbN wegen Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB) | bereits besetzt |
untergegangen. Der ArbG ist dann gegenüber dem ArbN zum Scha- | |
denersatz verpflichtet (LAG Berlin, a.a.O.). Dabei muss die für das Ver- | |
schulden notwendige Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 1 BGB) gegeben sein. | |
Der Schadenersatzanspruch richtet sich gem. § 251 Abs. 1 S. 1 BGB | |
auf die Differenz zwischen dem tatsächlich erzielten Verdienst des ArbN | |
und dem fiktiven Verdienst, den er erzielt hätte, wenn sein Anspruch | |
auf Übertragung des freien Arbeitsplatzes erfüllt worden wäre. Zeit- | |
lich ist dieser Schadenersatzanspruch nicht durch Gesetz begrenzt und | |
stellt daher eine einschneidende Sanktion für den ArbG bei einer Ver- | |
letzung seiner Pflichten gegen § 9 TzBfG dar. |
Arbeitsrecht aktiv 9 | 2004 | 151 |