Kündigungsrecht | |
Kündigungsrecht | |
Der Weiterbeschäftigungsanspruch nach | |
einem Widerspruch durch den Betriebsrat | |
von RA Rainer Polzin, FA Arbeitsrecht, Berlin | |
Der ArbG ist gem. § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG verpflichtet, den ArbN nach | |
frist- und ordnungsgemäßem Widerspruch des Betriebsrats gegen eine | |
ordentliche Kündigung weiterzubeschäftigen, sofern der ArbN Kündi- | |
gungsschutzklage erhoben hat und die Weiterbeschäftigung verlangt. | |
Der vorliegende Artikel soll aufzeigen, wie der ArbN seine Ansprüche | |
durchsetzen kann und unter welchen Voraussetzungen sich der ArbG von | |
seiner Pflicht entbinden lassen kann. | |
Der Widerspruch des Betriebsrats | |
Gem. § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu | Gang des |
hören. Er muss der ordentlichen Kündigung innerhalb einer Woche nach | Verfahrens |
Einleitung des Anhörungsverfahrens schriftlich widersprechen. Andern- | |
falls steht dem ArbN nach Ablauf der Kündigungsfrist kein Anspruch auf | |
Weitbeschäftigung zu (§ 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG). Der Widerspruch muss | |
ordnungsgemäß erfolgen. Erforderlich ist, dass der Betriebsrat sich nicht | |
lediglich pauschal auf einen der Widerspruchsgründe des § 102 Abs. 3 | |
BetrVG beruft. So reicht der bloße Verweis auf die genannte Vorschrift | |
nicht aus. Es wird ein Mindestmaß an konkreter Argumentation verlangt. | |
Bei einem Widerspruch nach § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG muss der freie | |
Arbeitsplatz für den ArbG aus dem Widerspruchsschreiben heraus be- | |
stimmbar sein (BAG AP Nr. 12 zu § 102 BetrVG 1972 Weiterbeschäftigung | |
= BB 00, 203). | |
Praxishinweis: Nicht selten ist zweifelhaft, ob die Widerspruchs- | Gefahren für |
begründung ausreichend ist. Der ArbG sollte in diesen Fällen immer eine | den Arbeitgeber |
einstweilige Verfügung auf Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht | |
beantragen: Hat nämlich der Betriebsrat der Kündigung ordnungsgemäß | |
widersprochen, besteht bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kün- | |
digungsschutzklage das Arbeitsverhältnis zu den bisherigen Bedingungen | |
fort. Der ArbG läuft Gefahr, ohne Gegenleistung auf Grund Annahmever- | |
zugs zur Lohnzahlung verpflichtet zu werden, wenn sich im Nachhinein | |
ergibt, dass der Widerspruch des Betriebsrats ordnungsgemäß war. Nach | |
richtiger Auffassung wird die einstweilige Verfügung aus Gründen der | |
Rechtssicherheit auch erlassen, wenn das Gericht zum Ergebnis gelangt, | |
dass der Widerspruch schon nicht ordnungsgemäß begründet ist und daher | |
keine Pflicht zur Weiterbeschäftigung besteht (LAG Hamm DB 79, 1232). | |
Weitere Voraussetzung ist, dass der ArbN spätestens am ersten Arbeitstag | Spätere Zulassung |
nach Ablauf der Kündigungsfrist seine Weiterbeschäftigung verlangt (BAG | der Kündigungs- |
AP Nr. 13 zu § 102 BetrVG 1972 Weiterbeschäftigung = NZA 00, 1055) und | schutzklage |
Kündigungsschutzklage eingereicht hat. Wird diese erst im Nachhinein | |
gem. § 5 KSchG zugelassen, beginnt die Weiterbeschäftigungspflicht erst | |
ab demTag der Zulassung (ErfK-Kania, § 102 BetrVG, Rn. 33). |
Arbeitsrecht aktiv 12|2005 | 199 |
Kündigungsrecht
Durchsetzung der Rechte des ArbN | |
Kommt der ArbG dem Weiterbeschäftigungsverlangen des ArbN nicht | Einstweilige |
nach, kann diese rtrotzdem seinen Lohnanspruch aus Annahmeverzug gel- | Verfügung des ArbN |
tend machen. Will er weiterbeschäftigt werden, kann er seinen Anspruch | |
per einstweiliger Verfügung durchsetzen. Im Antrag müssen die Voraus- | |
setzungen gem. § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG glaubhaft gemacht werden. | |
Umstritten ist, ob es der Darlegung eines Verfügungsgrunds bedarf. | |
ZumTeil wird dies mit Hinweis auf die immanente Eilbedürftigkeit | |
verneint (LAG Hamburg NZA 93, 140). | |
Soweit ein Verfügungsgrund gefordert wird, sind die Anforderungen | Machen Sie |
aber gering. Nach dem LAG München (NZA 94,997) ist es ausreichend, | nach Möglichkeit |
wenn der ArbN darlegt ,er wolle mit seiner Weiterbeschäftigung sicher- | Ausführungen zum |
stellen, dass sein Arbeitsplatz auch tatsächlich erhalten bleibt. | Verfügungsgrund |
Ist zu befürchten, dass ein anderer ArbN den Arbeitsplatz besetzt, be- steht jedenfalls einVerfügungsgrund (LAG Köln NZA 84, 300).
Der ArbG kann sich dem gegenüber nicht mit dem Einwand verteidigen, er | |
sei nach § 102 Abs.5 S.2 BetrVG von der Weiterbeschäftigung zu befreien. | |
Diese Argumente können nur in einem Entbindungsverfahren nach § 102 | |
Abs. 5 S. 2 BetrVG geltend gemacht werden (LAG München NZA 94,997). | |
Dem ArbG bleibt dann nur die Möglichkeit, die Anspruchsvoraussetzun- | |
gen zu bestreiten. | |
Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht | |
Will sich der ArbG von seiner Weiterbeschäftigungspflicht entbinden | Entbindung des |
lassen, muss er im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren den Erlass einer | ArbG durch einst- |
einstweiligen Verfügung beantragen. Eines Verfügungsgrunds bedarf es | weilige Verfügung |
nicht. Der Entbindungsanspruch (§ 102 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 bis 3 BetrVG) | |
muss hingegen glaubhaft gemacht werden (§ 294 ZPO). |
Checkliste: Die Entbindungsgründe nach § 102 Abs. 5 S. 2 BetrVG
Nr. 1: Kündigungsschutzklage ohne hinreichende Erfolgsaussichten
Beruft sich der ArbG darauf, dass die Kündigungsschutzklage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, muss er umfassend zu den Kündigungsgründen vortragen. Insofern besteht kein Unterschied zum Kündigungsschutzverfahren. Sein Vortrag ist schlüssig, wenn sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ergibt, dass er obsiegen wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab entspricht dem des § 114 ZPO. Hat er die erste Instanz im Kündigungsschutzprozess gewonnen, reicht einVerweis auf die Entscheidung aus (ArbG Passau BB 92, 928). Legt der ArbN in seiner Replik glaubhaft dar, er werde mit hoher Wahrscheinlichkeit gewinnen, ist der Antrag des ArbG abzuweisen, da die hinreichenden Erfolgsaussichten vom Arbeitsgericht dann nicht mehr zu verneinen sind.
Praxishinweis: Will der ArbG ein solches Verfahren gewinnen, muss er alle Karten auf den Tisch legen. Für den Abfindungspoker im Kündigungsschutzprozess kann dies – gerade wenn der Antrag zurückgewiesen wird – sehr ungünstig sein. Der ArbG sollte also nur offen spielen, wenn ihm der Sieg ausnahmsweise gewiss ist oder wenn auf Grund einer langen Kündigungsfrist des ArbN der Prozess schon weit gediehen ist und mit einem Sieg zu rechnen ist.
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Nr. 2: Unzumutbare wirtschaftliche Belastung desArbG
Einigkeit besteht darin, dass allein der Wegfall des Arbeitsplatzes des ArbN und die daraus resultie- rende fehlende Beschäftigungsmöglichkeit bei fortbestehender Lohnzahlungspflicht nicht zu einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit führt. Vielmehr muss gerade durch die fortbestehende Lohnzah- lungspflicht eine Existenzgefährdung eintreten. Dabei ist zum einen denkbar, dass auf Grund der finanziellen Belastungen eine Überschuldung droht oder die Wettbewerbsfähigkeit aufgehoben wird (LAG Hamburg NZA-RR 02, 25). Umstritten ist jedoch, ob auf die wirtschaftlichen Belange des Betriebs oder des Unternehmens abzustellen ist (hierzu Rieble, BB 03, 844).
Zum Streit um die unzumutbare Belastung kommt es zumeist, wenn der ArbG einer Vielzahl von ArbN gekündigt hat und diese nach Widerspruch des Betriebsrats weiterbeschäftigt werden wollen. Maßgeblich für die Beurteilung der Unzumutbarkeit ist nicht die wirtschaftliche Belastung auf Grund der Beschäftigung durch den einzelnen ArbN, sondern die finanziellen Aufwendungen für die Gesamtheit der ArbN, die die Weiterbeschäftigung verlangen. Werden ganze Betriebe oder Betriebsteile geschlossen, wird teilweise angenommen, dass eine Weiterbeschäftigung grundsätzlich unzumutbar ist (Rieble, BB 03, 844). Richtigerweise wird aber auch in diesen Fällen eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit im Einzelnen festzustellen sein (LAG Hamburg NZA-RR 02, 25). Gerade bei Schließungen von gesunden Betrieben, welche letztlich nur der Gewinnverdichtung im Unternehmen dienen, wäre ein anderes Ergebnis inakzeptabel.
Praxishinweis: Der Antrag ist nur begründet, wenn der ArbG im Detail seine Existenzgefährdung dargelegt und glaubhaft gemacht hat. Hierzu bedarf es einer Berechnung, aus der sich die wirt- schaftliche Existenzgefährdung durch die mit der Pflicht zur Weiterbeschäftigung verbundene Lohnzahlungspflicht ergibt. Diese ist zukunftsbezogen auf der Grundlage eines Wirtschaftsplans vorzunehmen. Die Glaubhaftmachung kann allenfalls mit einem detaillierten Gutachten eines Wirtschaftsprüfers gelingen.
Nr. 3: Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet
Offensichtlich unbegründet ist der Widerspruch des Betriebsrats,wenn dies unter Zugrundelegung des dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungssachverhalts aus dem Widerspruchsschreiben heraus zu erkennen ist. Es darf keine Sachprüfung des ArbG erforderlich sein (ArbG Stuttgart NZA-RR 97, 260). Widerspricht der Betriebsrat bei einer Betriebsschließung und Entlassung aller Mitarbeiter oder bei einer verhaltensbedingten Kündigung mit der Begründung, der ArbG hätte die Sozialauswahl nicht ordnungsgemäß durchgeführt, ist der Widerspruch offensichtlich unbegründet.
Verhältnis zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch | |
Der ArbG ist nach verlorener erster Instanz zurWeiterbeschäftigung des | Es besteht nur |
ArbN verpflichtet, sofern dieser einen entsprechenden Antrag gestellt | ein faktisches |
hat. Durch die sodann folgende Weiterbeschäftigung wird lediglich ein | Arbeitsverhältnis |
faktisches Arbeitsverhältnis geschaffen. Arbeitet der ArbN z.B. wegen | |
Krankheit nicht, ist der ArbG anders als nach § 102 Abs. 5 BetrVG auch | |
nicht zur Entgeltzahlung im Krankheitsfall verpflichtet, sofern sich später | |
die Rechtmäßigkeit der Kündigung herausstellt (BAG AP Nr. 11 zu § 611 | |
BGB Weiterbeschäftigung Nr. 11 = NZA 99, 1154). | |
Praxishinweis: Sofern beide Ansprüche miteinander konkurrieren, ist aus | |
Sicht des ArbN unbedingt darauf zu achten, dass (zumindest auch) der | |
Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG geltend gemacht | |
wird. Dieser ist in den Rechtsfolgen wesentlich günstiger für den ArbN. |
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